motorrad Quelle: Broschüre "Am Limit lenkt der Zufall"

Das Knie in der Kurve reibt beinahe an der Fahrbahn, der Motor röhrt, der Biker schwebt im Geschwindigkeitsrausch – so stellt sich mancher Motorradfahrer die Freiheit auf zwei Rädern vor. Doch nur wenige beherrschen ihr Krad so gut wie die Profis. Für die meisten Freizeitfahrer ist das Limit in so einer Situation häufig schon überschritten, ein Unfall vorprogrammiert. Um die Fahrer selbst davon zu überzeugen, dass Rasen an der Grenze der persönlichen Möglichkeiten mehr schadet als Freude bringt, hat das Wuppertaler Polizeipräsidium gemeinsam mit Partnern wie Straßen NRW, der Bezirksregierung, der Johanniter-Unfallhilfe, der „Allianz für Sicherheit im Bergischen Land – Bürger und Polizei e. V.“ und der Verkehrswacht Wuppertal das Netzwerk „Am Limit lenkt der Zufall“ gegründet. Die Beamten hatten gemerkt, dass reines Vorführen auf Verkehrssicherheitstagen nicht ankam, die Unfallzahlen weiterhin beängstigend anstiegen. Ein Biker hatte bei einem solchen Sicherheitsevent im breiten Bergisch gesagt: „Nit quake – make!“ – die Fahrer wollten lieber selbst ausprobieren, was ihnen da wortreich erklärt und von Spezialisten vorgeführt wurde. Also begannen Polizei, die Johanniter, ein Sicherheitstrainer und weitere interessierte Bürger damit, sogenannte „Limiter“ auszubilden. Motorradfahrer und -fahrerinnen, die Vorbild sein sollen für andere. Sie vermitteln, dass jeder im Straßenverkehr von gegenseitiger Rücksichtnahme und Vorsicht profitiert. Weniger Risiko, weniger Geschwindigkeit bedeutet weniger Gefahr sein für andere und sich selbst, mehr Sicherheit im Verkehr und damit Fahren ohne Reue. „Prävention auf Augenhöhe“ bedeutet, sich gegenseitig bewusst zu machen, wo die jeweiligen Grenzen liegen – heißt es in der Selbstdarstellungsbroschüre des Netzwerks.

Jedes Jahr bietet das Netzwerk Verkehrssicherheitstage an. Das Herzstück der Veranstaltungen sind begleitete Touren in kleinen Gruppen von höchstens acht Teilnehmern. Denn viele Biker fahren in der Gruppe, vergessen jedoch oft, dass nicht alle auf gleichem Niveau unterwegs sind, sagt der Wuppertaler Polizeihauptkommissar Rainer Feller, Mitinitiator des Netzwerks. Jeder muss mitkommen, keiner darf sein Limit überschreiten, also sollte sich die Gruppe nach dem richten, der am wenigsten Fahrpraxis hat. Bei diversen Zwischenstopps wird geredet. Was ist den Teilnehmern aufgefallen, wo hatten sie Schwierigkeiten, welche Situationen sind ihnen gefährlich vorgekommen??? Insbesondere Wenigfahrern oder Ungeübten werden unterwegs motorische Übungen angeboten. Die Gruppen, die in verschiedene Richtungen ausgeschwärmt waren, treffen sich mittags an einem zentralen Ort. Jetzt ist Zuschauen angesagt. Geübte Fahrer zeigen beispielsweise, wie lang ein Bremsweg werden kann, wenn man zu schnell unterwegs ist. Zum Abschluss am Nachmittag geben Rettungssanitäter Tipps für die Sofortmaßnahmen am Unfallort.

Nach einem Verkehrssicherheitstag erhalten die Teilnehmer einen Brief, in dem der „Limitergedanke“ noch einmal genau beschrieben wird:

 

2014-04-03 Projekt des Monats April Am Limit - limiter„Unter Limiter - im Sinne der Verkehrssicherheit – verstehen wir Fahrerinnen und Fahrer, die das körperlich und technisch Machbare bewusst auf ein verantwortbares Maß begrenzen. Zur Festlegung dieser persönlichen Grenzen eignen sich die Kernaussagen der Straßenverkehrsordnung. Einem Limiter ist bewusst, dass die Teilnahme am Straßenverkehr seine/ihre ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme einfordert.“

 

Jeder Teilnehmer kann dann entscheiden, ob er eine freiwillige Erklärung unterschreibt und damit dokumentiert, dass auch in seinem „Helm ein Limiter steckt.“ 170 Biker haben nach Angaben der Veranstalter bisher eine solche Erklärung unterschrieben. Darüber hinaus werden besonders geeignete Fahrer zu sogenannten „Limitertagen“ eingeladen. Sie lernen dort, neben relevanten motorischen Übungen, Bremsen, Anhalten, Wenden, Spurhalten und Blickführung und unterstützen bei den Verkehrssicherheitstagen Polizisten und Sicherheitstrainer als Leiter der Gruppentouren. Das hat einen positiven Effekt für beide Seiten. Die Freizeitfahrer lernen für sich und andere Verantwortung zu übernehmen, werden als Vorbilder akzeptiert und lernen selbst bei jeder Tour dazu. Die Polizei kann sich auf andere wichtige Aufgaben konzentrieren.. 30 - 35 Limiter sind bisher fortgebildet worden. Das Interesse ist weiterhin groß, sagt Polizist Rainer Feller, der selbst ein begeisterter Motorradfahrer ist. Seine Maschine hat 1.200 Kubik und könnte mehr als 200 Kilometer in der Stunde fahren, das habe er aber noch nie ausgetestet, er kenne sein Limit. Nicht nur er ist überzeugt von seinem Netzwerk, auch die Teilnehmer reagierten stets sehr positiv. Wenigfahrer und Anfänger seien dankbar für die vielen Tipps und Angebote des Netzwerks. Aber auch die Hauptrisikogruppe, Fahrer ab 45, die nach vielen Jahren Abstinenz wieder aufs Motorrad stiegen, nähmen das Angebot sehr gerne an. Wie viel die „Limiter“ „mitnehmen“, beschreibt Jürgen Wilhelm aus Solingen in einem Brief sehr eindringlich:

2014-04-03 Projekt des Monats April Am Limit - erste hilfe -„Ich fahre schon sehr lange Motorrad und ich habe festgestellt, es schleift sich vieles durch die Routine ein. Dank dieser Tour fahre ich nun wieder wesentlich bewusster und aufmerksamer (…). Das theoretische Wissen um den Anhalteweg und das praktische „Vorgeführt bekommen“ sind doch zweierlei Dinge. Meinen Abstand zum vorausfahrenden Verkehr werde ich jetzt etwas intensiver beobachten und hinterfragen.

Außerdem habe ich heute schon im Motorradfachgeschäft in Wuppertal einen Warndreiecküberzieher für den Helm und eine Warnweste gekauft – sofort angezogen ;-)).“

Allerdings braucht das Umdenken Zeit, erklärt Rainer Feller. Immerhin sei der Mensch ein Gewohnheitstier, es müsse schon reichlich geübt werden, bis das, was man „immer“ getan hat, als falsch erkannt werde: „Es dauert lange, bis es sitzt!“ Aber der Erfolg gibt dem Netzwerk Recht – die Unfallzahlen sind in den vergangenen zehn Jahren um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Die Verkehrssicherheitstage kommen sehr gut an: Bis Sommer vergangenen Jahres haben nach Angaben der Veranstalter mehr als 1.300 Biker teilgenommen, in jedem Jahr würden es mehr.

 

Weitere Informationen: